Gang nach Ravensbrück
Funktion: Autor
Erstellungsdatum: 26. - 31.12.2014
Thomas Christoph Heyde
Gang nach Ravensbrück
Essay
—
Ich gehe langsam. Auf dem Weg vom Bahnhof Fürstenfeld nach Ravensbrück, ins KZ, das jetzt Gedenkstätte ist.
Mein Leben zeigt sich umbrüchig in diesen Tagen. Wieder mal, sagen wohl die Leute.
Die Gegenwart jedoch muss diesmal bis Morgen warten, so habe ich entschieden – und mir ist wohl bei diesem Gedanken. Der Vergangenheit hingegen, die im Spiegel meines Daseins ein seltsam verwässertes Bild des Lebens zeigt, dieser Vergangenheit öffne ich die Tür. Mein inneres Maßband an mich anlegend, stelle ich fest, dass da 15 Jahre angefallen waren. Jahre, die ich schleichend verflucht, zerarbeitet, versoffen, entliebt und verwohnt hatte.
Ich beginne also zu lauschen.
Und während ich lausche, spüre ich kühl, dass meinen Mitmenschen die Erzählung von einer lohnenden Zukunft allein dann besonders attraktiv erscheint, wenn sie sich in das Gewand einer selbstbewussten Vorausschau auf das Leben kleidet.
Dies Spiel hatte ich fast vollumfänglich beherrscht – mit bunter Attitüde und galanter Etikette. Mein Leben floss ungebremst dahin, und ich erntete stets gleichermaßen Bewunderung und Verachtung für die bunten Nächte und Tage, die (angefüllt bis ins Äußerste) Tat und Tun waren. Zwischendurch verweile ich auch. Immer dann, wenn mir berichtet wird, oder wenn ich lauschen darf, und dann, wenn ich dableiben will, weil Blicke sich treffen.
Derweil aber rumorte es bohrend in mir weiter. An Abenden am Schreibtisch, an lauten Tresen oder unvermittelt an einer Haltestelle. Es hilft auch nichts, dass ich duftende Blumensträuße und bunte Pakete nach Hause schleppe. (Um mich herum masturbiert, feiert und arbeitet sich die Wunschgesellschaft ihre Einsamkeit hinweg – und ich tue es ihr nach. Ich klammere mich an Waren ohne Wert. Brülle mit im großen Getöse.)
Dann aber ist meine eigene Erzählung plötzlich keine mehr.
Und wer keine eigene Erzählung hat, der hat auch keine von der Welt.
(weiterlesen [Anfrage])
—
Preis: Verwendung auf Anfrage