mit der Objekt-Licht-Installation »Fremde & Wunden«
Funktion: Komponist | Autor
Erstellungsdatum: 2001
für Stimme, Kammerorchester, 7.1-Surround-Tape und Liveelektronik
nach Texten von Miguel de Unamundo und Thomas Christoph Heyde
mit der Objekt-Licht-Installation »Fremde&Wunden«
Ich – ein Fremder ist eine Komposition/Installation, hinter der sich ein ganzer Komplex von Texten, Gedanken, Bilder verbirgt. Doch so vielschichtig die Assoziation, Bilder und Klänge wirken, immer kreisen sie um die Grundgedanken von Ferne und Nähe, die im Schaffen von Thomas Heyde zentral sind. Hierzu schreibt er: »Und der, der in einer kalten Bahnhofshalle plötzlich meinte, ein >zu Hause< zu spüren, ohne sagen zu können warum; und der, der wo viele meinten: hier ist >zu Hause< […], eben dieses nicht empfand, der kann die Entdeckungsreise vielleicht verstehen oder erahnen, die ich gemacht habe[…]«. Gerade in der Abstraktion von Musik findet Heyde die Möglichkeit, diesen Gedanken vielschichtig und mehrdeutig nachzuspüren; die konkreteren Bild- und Textelemente ergänzen diese abstrakte Ebene zu einem Gesamten, in dem sich die einzelnen Bereiche gegenseitig durchdringen. Andererseits werden die zugrunde liegenden Texte fragmentiert, aus Sprache wird Klang und auch die Instrumentalklänge werden schließlich elektronisch verarbeitet und verfremdet.
(Marion Demuth im Booklet zur CD »15. Und 16. Dresdner Tage Der Zeitgenössischen Musik 2001/2002«, LC 09930)
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Textgrundlage
Das Herbst, das Damals
FrostLaub
unter den Knien
Wissendes Brüllen! und
Die Milch einer Mutter
Rechtloses am Ohr
Rufts?
Sie schneidet leise sich mir…
Reich war ich
Voll Rufen WIR!
(Thomas C. Heyde, Luxor 2001)
Der halbe Mond ist eine Wiege
wer schaukelt sie hin?
Und das Kindlein im halben Monde,
wo träumt es nur hin?
Der halbe Mond ist eine Wiege,
wer schaukelt sie an?
Und das Kindlein im halben Monde,
für wen wächst es heran?
Der halbe Mond ist eine Wiege,
der Neumond kommt schon.
Und das Kindlein im halben Monde,
wer trägt es davon?
(Miguel de Unamundo, Paris 1930)
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Darmstädter Echo, 08.10.2001 / Feuilleton
Wissendes Brüllen
15. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik
Die Tröpfe tropfen. Ob Blut oder bloß gefärbtes Wasser: Die Schweineherzen in den Glaskästen unter den Schläuchen halten jedenfalls der Echtheitsprüfung zweifelsfrei stand. Eine Frau geht spitzfingrig ans rohgeschlachtete Fleisch, trägt es von einem Aquarium zum anderen. Oder macht sie etwas anderes damit? Dusteres Licht, keiner sieht viel. Dann singt sie auch: ‚Das Herbst, das Damals / FrostLaub / unter den Knien / Wissendes Brüllen!“
‚Ich – ein Fremder“ heißen Gedicht und Komposition. Thomas Christoph Heyde, 28 Jahre jung, hat beides gemacht und die ‚Objekt-Lichtinstallation: fremde & wunden“ dazu – alles vereint zu einem mystisch wuselnden Raunen, von dem außer dem Allgemeingefühl eines tiefen Zeit-Unbehagens und einer nicht mehr sehr frischen Schock-Ästhetik wenig bleibt.
Noch drei weitere Uraufführungen (Eva-Margarita Geißler, Konrad Möhwald, Christoph Göbel) gab es an diesem Abend bei den 15. Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik- weniger zudringlich, aber deswegen nicht unbedingt besser. Am sympathischsten war mir Möhwalds ‚Relief“ in seiner ehrlich-bodenständigen, quasi kubistisch-eckigen Polyphonie; Göbels ‚Aquaphon“ getraut sich zu selten aus der Tarnung der Altvorderen heraus. Dem hoch engagierten ‚ensemble courage“ unter Titus Engel, das sich all dem mit klagloser Disziplin aussetzte, wünscht man dankbarere Herausforderungen.
Dennoch ist das ein Plus, aus denen diese Neutöner-Tage des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik, für das Udo Zimmermann immer noch wie in Gründungstagen Renommee einsetzt und Beziehungen spielen lässt, ihre Lebendigkeit ziehen: dass eigentlich alles, auch Fragwürdiges, ausprobiert werden kann. Die Dresdner Sinfoniker, bei der Eröffnung frisch zupackend dirigiert von Michael Helmrath, sind genau so jung wie das ‚ensemble courage“ und haben ob ihrer lockeren, unverkrampften Art bei Kennern der Materie schon fast Kultstatus; da hat das ‚Ensemble modern“ für sein Abschlusskonzert am nächsten Mittwoch eine Vor-Ort-Konkurrenz, die ihm selten begegnen dürfte.
Der Bogen des Leitthemas ‚Kunst und Künstlichkeit“ wird sich weiter spannen: von einem Darmstädter Gastspiel mit Mark Polschers Oper ‚Die mechanische Braut“ bis zu einem hoch nachgefragten ‚Network-Shop“ zur musikalischen Arbeit im Internet. Andere Positionen wie Nonos ‚Intolleranza“ aus Berlin oder die parallel laufende Ausstellung von Schönbergs bildnerischem Werk dienen demgegenüber der Verankerung in den großen Traditionslinien des 20. Jahrhunderts.
(Gerald Felber)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 05.10.2001
Ausgabe: Dresdner Neueste Nachrichten / Ressort: Kultur
Positionen“ – Auftragswerke des DZzM uraufgeführt
Teilweise höchst fragwürdig
Das ließ sich recht viel versprechend an: eine Raumgestaltung in der Dreikönigskirche, bei der Aquarien mit Fleischstücken und darüber medizinische Tropfe, aus denen es rot lief, zu Beginn dann Nebel in der Dunkelheit, während vom Zuspielband ein beachtliches imaginäres Raumerlebnis vermittelt wurde. Aber das war schon das Interessanteste an „Ich – ein Fremder“ von Thomas Christoph Heyde (Jahrgang 1973), denn was dann noch kam, war kaum der Rede wert. Ein undurchhörbares mehrschichtiges Konglomerat aus Livemusik, Bandeinspiel und Elektronik, das ohne erkennbares Ziel, sogar ohne Tendenz bleibt. „Grundgedanken von Ferne und Nähe“ sollen darin ablesbar sein. Dem kann ich nur so weit zustimmen, dass mir Ferne von aller guter und interessanter neuer Musik ein konstitutives Element zu sein scheint. Wenn Heyde sich selbst fremd bleibt, darf man ihn bedauern, aber er muss nicht auch noch bereitwillige Zuhörer dazu bringen, dass sie die Zeit bedauern, die sie für das Hören dieses Stücks aufgewendet haben. Es wird ein ungeheurer technischer Aufwand betrieben, aber das Überangebot an Komponenten führt zu gar nichts. Ich habe selten ein Stück neuer Musik gehört, das mir misslungener erschienen wäre. […]
Das 1997 gegründete ensemble courage arbeitete unter dem 1976 geborenen Titus Engel mit großer Konzentration und so großem Engagement, als wäre jedes von den vier Stücken der ultimative Höhepunkt der neuen Musik. Dass es das nicht war, wird wohl auch den Ausführenden nicht verborgen geblieben sein.
(Peter Zacher)
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