Funktion: künstlerischer Leiter
Erstellungsdatum: 19.09.2009
Konzert zum Wende-Jubiläum
Eine Gemeinschaftsveranstaltung der Oper Leipzig und des Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig.
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Wenn allerorts anlässlich des Wende-Jubiläums Reden gehalten, wieder mal Lichterketten gebildet und manch Bürgerrechtler aus der Versenkung hervorgeholt werden, dann erklingen in der Oper gänzlich andere Töne. Den Jubelfeiern zum Wende-Herbst wollen wir kritische Klänge, Worte und Bilder entgegensetzen. Klänge von KomponistInnen, die sich seinerzeit unmittelbar in politische Diskussionen einmischten, anhand der Realitäten (musikalisch) verstummten oder ihre musikalisch-politische Haltung überprüften. Musik von streitbaren Geistern in jedem Fall. Und wir wollen hören, ob und wie sich politische Haltung heute in zeitgenössischer Musik ausdrückt. Das Kooperationsprojekt der Oper Leipzig und des Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig stellt Werke der Ost- und West-Avantgarde einander ebenso gegenüber wie Kompositionen der Nachgeborenen. Musikalische Positionen, die sich kritisch, bärbeißig und süffisant mit Politik und deutscher Identität auseinandersetzen. »10 Märsche um den Sieg zu verfehlen«, lautet vielsagend der Titel einer der Kompositionen, der auch stellvertretend für das Projekt steht.
(Aus der Pressemitteilung der Veranstalter)
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LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 21.09.2009
Ausgabe: Leipziger Volkszeitung-Stadtausgabe/Stadtausgabe / Ressort: Kultur
„Den Sieg verfehlt …“: In der Oper Leipzig werden zeitgenössische Kompositionen zum Herbst 1989 in Beziehung gesetzt
Parodie auf Triumph und Stärke
Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig und die Oper haben sich viel vorgenommen. Am Samstagabend soll gehört werden, ob und wie sich politische Haltung in zwölf Kompositionen zeitgenössischer Musik ausdrückt. Genauer gesagt, geht es im 20. Jahr nach der Friedlichen Revolution um Ost und West: Den Jubelfeiern sollen kritische und streitbare Komponisten entgegen gesetzt werden.
Es agieren, in unterschiedlichsten Konstellationen, die Sinfonietta Leipzig unter Chefdirigent Johannes Harneit, das Posaunenensemble TromboNova sowie sieben Sopranistinnen und ein Tenor. Titelgebendes Werk des Abends sind Mauricio Kagels „10 Märsche um den Sieg zu verfehlen“, von denen Nr. 9 und Nr. 5 die beiden Konzertteile einleiten. Nicht im nur mäßig gefüllten Saal der Oper, sondern vor dessen geöffneten Türen erklingen die Motivfetzen der Bläser, schräge Melodien und rhythmisch gleichförmig imitierendes Schlagwerk – eine Parodie auf Triumph und Stärke, unterbrochen von vielen zweifelnden Pausen.
Dirigent Harneit komponierte eigens für dieses Konzert „Unterwegs“, in dem Dreiergruppen von je zwei Instrumentalisten und einer Sopranistin im Raum verteilt theatralisch Autobahnstaus vermelden – jene Staus der Tage des Mauerfalls? Klarer wirkt da Luigi Nonos „La fabricca illuminata“, ein entschieden sozialkritisches Werk für Sopran und Tonband über entmenschlichte Fabrikarbeit. Durch szenische Aktionen wird es verstörend eindringlich: Gehetzt läuft die gefangene Arbeiterin über die Bühne, rüttelt an verschlossenen Türen oder lässt Aggressionen aus.
Helmut Lachenmann, der zwei Jahre bei Nono in Venedig studierte, ist mit dem Stück „Dal niente“ für Klarinette solo vertreten. Unabhängig von politischen Fragen lotet er deren Spieltechniken aus. Aus dem Nichts lässt Volker Hemken wunderbar erst differenzierte Atemgeräusche entstehen, hektisch wie ein verschüchtertes Tier. Dann klingen die ersten Töne an, und natürlich fehlen auch Klappengeräusche, Flatterzunge und Slap-Tongue-Effekte nicht.
Auf die Teilung Deutschlands beziehen sich die beiden Uraufführungen „Gewöhnliche Geschichte“ von Pèter Köszeghy und Friedrich Schenkers „Alter Mann löst deutsche Frage“. Posaunist Schenker spielt und spricht sein Werk gemeinsam mit TromboNova sowie einer Sopranistin und verbindet im letzten Teil wortgewaltig den Text der Nationalhymnen der DDR und BRD. Köszeghy lässt eine allegorische Geschichte über den Weg zur Wiedervereinigung (Text: Kathrin Schmidt) von Tenor Marko Cilic aus dem Publikumsraum intensiv überartikuliert verkünden, während das gemischte Ensemble plus verzerrter E-Gitarre auf der Bühne nicht nur musizieren, sondern auch rote Luftballons aufblasen und „Wir sind das Volk“ skandieren muss.
Ein aufregendes Konzert!
(Anja Jaskowski)
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